Anwaltskosten bei „Massenabmahnungen“ – Neue Möglichkeiten zur Verteidigung

Bei „Massenabmahnungen“ stellt sich die Frage, ob Anwaltskosten für jeden einzelnen Fall verlangt werden können oder ob alle Abmahnungen insgesamt zu betrachten sind. Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können auch eine Vielzahl von gleichlautenden Abmahnungen eine Angelegenheit für die anwaltliche Tätigkeit darstellen. Für die Abgemahnten kann dies bedeuten, dass sie nur einen Bruchteil der Kosten tragen müssen.

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Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht

Wann dies der Fall ist und welche neuen Verteidigungsmöglichkeiten sich im Bereich von Wettbewerbsverstößen oder Urheberrechtsverletzungen wie z.B. Wettbewerbsverletzungen ergeben könnten, lesen Sie in diesem Beitrag.

Der Vorteil der „Gebührendegression“

Anwaltskosten berechnen sich nach dem Gegenstandswert. Je höher der angesetzte Betrag ist, desto höher ist der zu zahlende Betrag. Dabei sieht das Gesetz aber keine lineare Steigerung vor. Die Gebühren steigen degressiv.

Dies lässt sich an folgendem Beispiel verdeutlichen:

Ein Rechteinhaber lässt 10 Onlineshops wegen eines Vertriebs von rechtswidrigen Vervielfältigungsstücken eines Films auf DVD durch einen Rechtsanwalt abmahnen. Die Händler hatten diese von einem Hersteller bezogen, dessen Lizenz zur Vervielfältigung des Films gekündigt worden war. Es handelt sich um eine rechtswidrige Vervielfältigung, dem Rechteinhaber steht gegen jeden einzelnen Onlineshop, der diese verkauft, ein Anspruch auf Unterlassung zu. Auf eine Kenntnis der Händler, dass die DVDs illegal sind, kommt es nicht an.

Wenn nun der Rechtsanwalt für die Verletzungshandlung einen Gegenstandswert von 15.000,00 € ansetzt, fallen Abmahnkosten in Höhe von jeweils 1.029,35 € an. Macht der Rechtsanwalt die Kosten bei 10 Onlinehändlern einzeln geltend, verlangt er also insgesamt stattliche 10.293,50 €.

Rechnet man die Gegenstandswerte hingegen zusammen, geht also von 150.000,00 € aus, fallen nach dem Gesetz nur Kosten in Höhe von 2.743,43 € an. Jeder der Verletzer müsste nur 274,34 € zahlen – eine Reduktion von fast 3/4.

Die Zusammenrechnung der einzelnen Gebühren wäre also gegenüber den Einzelabmahnungen vorteilhaft für die Onlinehändler.

Mehrere Abmahnungen – Eine oder mehrere Angelegenheiten?

Wie kommt man nun dazu, dass mehrere Abmahnungen zusammengerechnet werden? Die Lösung findet sich im Rechtsanwaltvergütungsgesetz (RVG). Dieses Gesetz regelt, welche Kosten für welche Tätigkeiten von Rechtsanwälten entstehen.

Nach § 15 Abs. 2 RVG kann der Rechtsanwalt die Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern. Es kommt also darauf an, was unter „dieselbe Angelegenheit“ zu verstehen ist.

Wenn in unserem Beispiel jeder Fall eine eigene Angelegenheit ist, könnte der Rechtsanwalt gegenüber jedem Onlineshop einzeln auf der Grundlage von 40.000,00 € abrechnen. Umgekehrt könnte der Rechtsanwalt nur einen Bruchteil fordern, wenn die verschiedenen Verstöße insgesamt eine Angelegenheit darstellen.

Eine Angelegenheit bei innerem Zusammenhang und einheitlichem Rahmen

Der Bundesgerichtshof hat sich in seiner „Novembermann“-Entscheidung zu dieser Frage grundlegend positioniert (BGH, Urteil vom 06.06.2019 – I ZR 150/18). Der Name „Novembermann“ bezieht sich auf einen Film mit Götz George, der den Gegenstand des Rechtsstreits bildete. Wie in unserem Beispielsfall war es auch im Fall des BGH. Der Hersteller von DVDs mit „Der Novembermann“ und zwei weiteren Filmen hatte nach einer Kündigung des Lizenzvertrags durch die Klägerin seine Produktion nicht eingestellt. Die Klägerin nahm die Onlinehändler auf Unterlassung in Anspruch.

Grundsätzlich gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass weisungsgemäß erbrachte anwaltliche Leistungen in der Regel dieselbe Angelegenheit betreffen, wenn

  • zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht und
  • sie sowohl inhaltlich als auch in der Zielsetzung so weitgehend übereinstimmen, dass von einem einheitlichen Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit gesprochen werden kann.

Ein innerer Zusammenhang zwischen den anwaltlichen Leistungen ist zu bejahen, wenn die verschiedenen Gegenstände bei objektiver Betrachtung und unter Berücksichtigung des mit der anwaltlichen Tätigkeit nach dem Inhalt des Auftrags erstrebten Erfolgs zusammengehören.

Ein einheitlicher Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit kann auch dann noch vorliegen, wenn der Anwalt zur Wahrnehmung der Rechte des Geschädigten verschiedene, in ihren Voraussetzungen voneinander abweichende Anspruchsgrundlagen zu prüfen oder mehrere getrennte Prüfungsaufgaben zu erfüllen hat. Denn unter einer Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne ist das gesamte Geschäft zu verstehen, das der Rechtsanwalt für den Auftraggeber besorgen soll. Ihr Inhalt bestimmt den Rahmen der awaltlichen Tätigkeit.

Innerer Zusammenhang im Fall „Der Novembermann“

Der BGH bejahte in seiner Entscheidung einen inneren Zusammenhang:

Die gegenüber verschiedenen Unternehmen und Personen von der Klägerin ausgesprochenen Abmahnungen hatten das gemeinsame Ziel, der rechtswidrigen Verbreitung von Vervielfältigungsstücken der drei Werke entgegenzuwirken, an denen sie ausschließliche Nutzungsrechte innehat. Die Abmahnungen knüpfen sämtlich an den Umstand an, dass der Lizenzvertrag […] fristlos beendet worden war, beziehen sich in allen Fällen (jedenfalls) auf den Vertrieb von DVDs mit den drei genannten Filmwerken mit dem Schauspieler Götz George und sind innerhalb eines Zeitraums weniger Wochen erfolgt.

BGH, Urteil vom 06.06.2019 – I ZR 150/18

Dass es sich um mehrere Rechtsverletzer handelte, sah der BGH als unerheblich an. Für einen einheitlichen Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit reiche es grundsätzlich aus, wenn die verschiedenen Gegenstände in dem Sinn einheitlich vom Anwalt bearbeitet werden könnten, dass sie verfahrensrechtlich zusammengefasst oder in einem einheitlichen Vorgehen – zum Beispiel in einem einheitlichen Abmahnschreiben – geltend gemacht werden könnten. Eine wirtschaftliche oder rechtliche Verbundenheit der abgemahnten Unternehmen sei nicht erforderlich.

Auch bei sukzessiver Beauftragung kann eine Angelegenheit vorliegen

Nun könnte man meinen, dass eine Angelegenheit nur dann vorliegt, wenn der Rechteinhaber von vornherein gegen die im Beispiel genannten zehn Onlineshops vorgehen wollte und seinem Rechtsanwalt einen entsprechenden Auftrag erteilt hat.

Dem erteilt der BGH eine Absage. Eine sukzessive Beauftragung sprengt den einheitlichen Rahmen nicht.

Das Berufungsgericht hat den Tatsachenvortrag der Klägerin in revisionsrechtlich beanstandungsfreier Weise dahingehend gewürdigt, dass im Streitfall angesichts eines sukzessiv erweiterten Auftrags ein einheitlicher Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit vorgelegen habe. Es hat hierbei insbesondere berücksichtigt, dass die Klägerin ihrem Vortrag zufolge die Prozessbevollmächtigten zunächst mit der Suche nach Tätern und Tathandlungen beauftragt und jeweils nach Darlegung der (neuen) Untersuchungsergebnisse über die Vornahme einer (weiteren) Abmahnung entschieden hat.

BGH, Urteil vom 06.06.2019 – I ZR 150/18

Obwohl die Abmahnungen also nicht in einem „universellen Auftrag“ zusammengefasst waren, konnten die abgemahnten Unternehmen daher von der Gebührendegression profitieren.

Abmahnungen: Übertragung der Rechtsprechung auf andere Fälle

Die Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof mittlerweile auch auf andere Bereiche übertragen, unter anderem das Presse- und Äußerungsrecht und das Wettbewerbsrecht. Es muss aber immer sorgfältig geprüft werden, ob ein innerer Zusammenhang zwischen einzelnen Abmahnungen besteht.

In seiner Entscheidung „Aminosäurekapseln“ hat der BGH einen solchen beispielsweise abgelehnt.

Dass zwischen den einzelnen Verletzungshandlungen ein innerer Zusammenhang bestünde und sie bei objektiver Betrachtung zusammengehörten, ist aber nicht ersichtlich. Hierfür reicht es nicht aus, dass die Wettbewerbshandlungen, die den Kläger zur Abmahnung veranlasst haben, hinsichtlich ihrer rechtlichen Qualifikation gleichartig sind.

BGH, Urteil vom 23.03.2023 – I ZR 17/22

Für die Verteidigung gegen überhöhte Abmahnkosten bietet die – noch viel zu wenig rezipierte – Rechtsprechung des BGH jedenfalls gute Ansatzpunkte. Mehr noch: Bereits geleistete Zahlungen könnten möglicherweise unter Berufung auf die neue Rechtsprechung zurückgefordert werden. Dazu ist allerdings eine sorgfältige Überprüfung der Rechtslage erforderlich, zumal die Frage der Verjährung zu beachten ist.

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