Versammlungsrecht: Transparente sind kein Sichtschutz

Transparente sind wichtige Hilfsmittel für Versammlungen, mit ihnen können inhaltliche Botschaften nach außen getragen werden. Oftmals sind sie den Versammlungsbehörden aber ein Dorn im Auge und sie versuchen, die Nutzung von Transparenten durch Auflagen zu reglementieren.

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Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht

In einem aktuellen Berufungsverfahren hat das Sächsische Oberverwaltungsgericht entschieden (Sächs. OVG, Urteil vom 31.05.2014 – 3 A 199/17 1), dass die Auflage, nach der Transparente nicht so aufgespannt oder mitgeführt werden durften, dass „sie als Sichtschutz für Versammlungsteilnehmer dienen können, d. h. dass durch sie die Gesichtsbereiche des Trägers und hinter dem Transparent laufender Personen verdeckt werden“ rechtswidrig ist.

Um eine Auflage erlassen zu können, bedarf es nach § 15 Abs. 1 SächsVersG eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung. Eine solche vermochte das OVG nicht zu erkennen.

Das Oberverwaltungsgericht NRW hat bereits im Jahr 2017 entschieden, dass die Versammlungsbehörde das Mitführen von Seitentransparenten nicht allein wegen der allgemeinen Möglichkeit ihres Missbrauchs zur Verhinderung der Identifizierung von Störern verbieten kann (OVG NRW, Beschluss vom 03.11.2017 – 15 B 1371/17). Es bedarf vielmehr konkreter und nachvollziehbarer tatsächlicher Anhaltspunkte dafür, dass das Mitführen der Transparente – bzw. deren Größe – die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar gefährdet.

Zunächst stellt das Gericht klar, dass zur Begründung der oben genannten Auflage nicht das Vermummungsverbot herangezogen werden kann:

Allein das Tragen von Transparenten in Gesichtshöhe stellt keine „Aufmachung“ i. S. v. § 17 Abs. 2 Nr. 1 SächsVersG dar, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern […] chon dem Wortlaut nach bezeichnet eine „Aufmachung“ die Gestaltung des Körpers selbst, etwa durch das Tragen von Kleidungsstücken, nicht aber durch das Halten von Gegenständen vor das Gesicht. Hierfür spricht auch der Vergleich mit der Regelung in § 17 Abs. 2 Nr. 2 SächsVersG, wonach es verboten ist, Gegenstände zur Verhinderung der Identitätsfeststellung mit sich zu führen.

Darüber hinaus unterfällt die Verwendung von Transparenten der vom Grundgesetz geschützten Versammlungsfreiheit. Die allgemeine Möglichkeit, dass Straftäter sich hinter Transparenten verstecken oder Straftaten vorbereiten könnten, reicht für eine Auflage nicht aus. Die Versamlungsbehörde konnte keine nachvollziehbaren Anhaltspunkte vorbringen, nach denen tatsächlich zu befürchten war, dass Transparente von Versammlungsteilnehmern in dieser Weise missbraucht werden würden.

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Das Urteil ist erfreulich, es stärkt die Versammlungsfreiheit. Es wäre wünschenswert, wenn derartige Prozesse häufiger geführt würden.

Das Urteil stelle stelle ich hier im Volltext zur Verfügung:


SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT

Im Namen des Volkes

Urteil

In der Verwaltungsrechtssache

der Frau N.

 -Klägerin –
– Berufungsklägerin –

prozessbevollmächtigt:

Rechtsanwalt H.

gegen

die Stadt Leipzig

vertreten durch den Oberbürgermeister

– Beklagte –
– Berufungsbeklagte –

wegen

versammlungsrechtlicher Auflagen (Demonstration vom 31. Mai 2014)
hier: Berufung

hat der 3. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. A., sowie die Richter am Oberverwaltungsgericht B. und C. aufgrund der mündlichen Verhandlung

am 31. Mai 2018

für Recht erkannt:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 26. Februar 2016 – 1 K 1556/14 – geändert. Es wird festgestellt, dass die Auflage Nr. 14 Satz 3 des Auflagenbescheids der Beklagten vom 27. Mai 2014 rechtswidrig war.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die anlässlich einer Demonstration vom 31. Mai 2014 ergangene Auflage, Transparente nicht als Sichtschutz für Versammlungsteilnehmer aufzuspannen.

Mit Schreiben vom 12. Mai 2014 meldete die Klägerin bei der Beklagten eine Versammlung mit dem Motto „Recht auf Stadt!“ für den 31. Mai 2014 für den Zeitraum von 16:00 bis 21:00 Uhr an. Die voraussichtliche Teilnehmerzahl wurde mit 500 Personen angegeben. Mit Bescheid vom 27. Mai 2014 erließ die Beklagte hierzu einen versammlungsrechtlichen Bescheid. Dessen Auflage Nr. 14 – von der nur der Satz 3 angefochten ist – lautet: „Seile, Taue, Transparente und Fahnen sowie sonstige Demonstrationsmittel dürfen den Demonstrationszug nicht umlaufen und dürfen nicht dazu verwandt werden, ggf. notwendige polizeiliche Zwangsmaßnahmen zu erschweren oder gar gänzlich zu verhindern. Ein polizeilicher Zugriff gegen Störer, welche aus dem Schutz der an sich friedlichen Versammlung heraus agieren, darf insbesondere nicht durch das Hochhalten vorgenannter Demonstrationsmittel behindert werden. Ferner dürfen Transparente nicht so aufgespannt oder mitgeführt werden, dass sie als Sichtschutz für Versammlungsteilnehmer dienen können, d. h. dass durch sie die Gesichtsbereiche des Trägers und hinter dem Transparent laufender Personen verdeckt werden.“

Zur Begründung wurde ausgeführt, die Erteilung der Auflagen sei geboten, um drohenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung wirksam entgegenzuwirken. Die Auflage Nr. 14 diene der Sicherstellung des Vermummungsverbots nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 SächsVersG und stelle keine Einschränkung für die Versammlungsteilnehmer dar. Die Transparente dürften nicht so geführt werden, dass sie die Gesichter der Versammlungsteilnehmer verdeckten, da sich die Identität eines Versammlungsteilnehmers anhand seines Gesichts bestimmen lasse. Demgegenüber müsse das Interesse der Klägerin an einer möglichst großen Öffentlichkeitswirkung zurücktreten, zumal sich die Öffentlichkeitswirkung auch herstellen lasse, wenn die Transparente so getragen würden, dass die Gesichter der dahinter laufenden Personen sichtbar seien. Die Eingriffstiefe der Auflage sei damit nur gering.

Nachdem der Widerspruch gegen die Auflage Nr. 14 Satz 3 erfolglos geblieben war, hat die Klägerin am 19. Juni 2014 Klage erhoben und die Feststellung begehrt, das diese Auflage rechtswidrig war.

Das Verwaltungsgericht hat die Fortsetzungsfeststellungsklage mit Urteil vom 26. Februar 2016 abgewiesen. Die zulässige Klage sei unbegründet. Die Auflage Nr. 14 Satz 3 des Bescheids der Beklagten vom 27. Mai 2014 sei rechtmäßig. Sie könne auf § 15 Abs. 1 SächsVersG gestützt werden und diene der Gefahrenabwehr. Entgegen der Auffassung der Klägerin sei die Auflage hinreichend bestimmt. Es habe auch eine „unmittelbare Gefährdung“ i. S. d. § 15 Abs. 1 SächsVersG vorlegen. Aufgrund der vorhergehenden Versammlungen der Klägerin, bei denen Versammlungsteilnehmer die Transparente in Gesichtshöhe zur Verdeckung ihrer Identität getragen hätten, sei die Beklagte zu Recht davon ausgegangen, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit ein solches Verhalten auch bei der Versammlung am 31. Mai 2014 auftreten werde. Soweit die Beklagte die Auflage mit einer Sicherstellung des Vermummungsver- bots begründet habe, sei zweifelhaft, ob allein das Tragen von Transparenten in Gesichtshöhe die Tatbestandsvoraussetzungen des § 17 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SächsVersG erfülle. Es fehle wohl an einer „Aufmachung“ i. S. v. § 17 Abs. 2 Nr. 1 SächsVersG. Ebenso sei fraglich, ob es sich bei den Transparenten um Gegenstände i. S. v. § 17 Abs. 2 Nr. 2 SächsVersG handele, die „geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern“. Denn bei einer von Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Versammlung unter freiem Himmel stehe das Mitfuhren von Transparenten bei Versammlungen, wenn auf ihnen in Schrift oder Bild eine Meinung kundgetan werde, zusätzlich auch unter dem Schutz der Meinungsfreiheit durch Art. 5 GG. Diese Fragen bedürften keiner abschließenden Entscheidung. Denn die Beklagte habe die streitige Auflage auch auf § 15 Abs. 1 SächsVersG gestützt und zutreffend eine unmittelbar bevorstehende Gefahr einer Verhinderung der Identitätsfeststellung durch das Hochhalten von Transparenten in Gesichtshöhe bejaht. Würden Transparente primär als Sichtschutz bei Attacken auf Polizisten benutzt, sei die streitige Auflage gerechtfertigt. Ein solcher „Missbrauch“ begründe eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung i. S. v. § 15 Abs. 1 SächsVersG. Komme es zu Störungen einer friedlichen Versammlung, sei es primäre Aufgabe der Polizei, die störenden Personen aus der Versammlung zu entfernen. Dieser Aufgabe könne die Polizei aber nicht gerecht werden, wenn ihr durch hochgehaltene Transparente in Gesichtshöhe der Teilnehmer der Blick auf das Versammlungsgeschehen insgesamt genommen werde. Für die Polizeibeamten sei dann nicht zu erkennen, was sich in dem nicht einsehbaren Raum abspiele und ob dort Vorbereitungen für einen Angriff nach außen stattfänden. Allein aus dem Umstand, dass die Demonstrationen der Klägerin grundsätzlich gewaltfrei abliefen, könne nicht geschlossen werden, dass sich auch tatsächlich alle Teilnehmer gewaltfrei verhielten. Dies habe der Verlauf anderer Demonstrationen, an denen u. a. die Klägerin als Versammlungsleiterin beteiligt gewesen sei, eindrucksvoll bewiesen. Entgegen der Auffassung der Klägerin sei es nicht erforderlich, dass hinter den hochgehaltenen Transparenten tatsächlich Störungen der öffentlichen Sicherheit vorbereitet würden. Vielmehr sei ausreichend, dass durch das Hochhalten der Transparente in Gesichtshöhe die Identität der Teilnehmer verschleiert werde. Hierzu habe die Beklagte mehrere Versammlungen aus den Jahren 2012 und 2013 im Einzelnen aufgeführt. Insbesondere bei einer Versammlung vom 27. Oktober 2012 hätten sich im Verlauf einer Versammlung die ersten ca. 15 Reihen vollständig unter ein Transparent gehüllt und Pyrotechnik gezündet. Auf diese Erfahrungen habe die Beklagte zurückgreifen dürfen. Die Auflage sei insbesondere auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Das Interesse an besonders gut sichtbaren Transparenten müsse hinter die Gewährleistung der Sicherheit und Ordnung der Versammlung zurücktreten. Es handele sich um eine vergleichsweise geringfügige und damit verhältnismäßige Beeinträchtigung der Ver- sammlungs- und Meinungsfreiheit, welcher mögliche Gefahren für die körperliche Unversehrtheit der Beamten und Dritter gegenüberstünden, die sich im Ergebnis als sehr gravierend darstellen könnten.

Auf den Antrag der Klägerin hat der Senat die Berufung mit Beschluss vom 18. März 2017 – 3 A 324/16 – wegen ernstlicher Zweifel zugelassen. Es sei fraglich, ob allein das Tragen von Transparenten in Augenhöhe eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle.

Zur Begründung ihrer Berufung fuhrt die Klägerin aus: Sie habe die Versammlung für das Bündnis „Recht auf Stadt“ angemeldet. Dieses vereine verschiedene stadtentwicklungspolitische Initiativen, unter anderem das Bündnis „Stadt für alle“, sowie mehrere gemeinwohlorientierte Hausprojekte und Bauwagenplätze. Die Demonstration habe im Rahmen des 36. BUKO-Kongresses stattgefunden, welcher vom 29. Mai bis 1. Juni 2014 in Leipzig mit den Schwerpunkten Stadtentwicklung und Migration abgehalten worden sei. Die Demonstration habe als aktionistischer Höhepunkt des BUKO-Kongresses gedient. Ihre Teilnehmer seien überwiegend deutschlandweit angereiste Kongressteilnehmer gewesen.

Die Klage sei begründet, da durch das Hochhalten von Transparenten keine unmittelbare Gefährdung i. S. v. § 15 Abs. 1 SächsVersG gegeben sei. Diese liege vor, wenn der drohende Schadenseintritt so nahe sei, dass er jederzeit, unter Umständen sofort eintreten könne. Zu welchem Schadenseintritt allein das Hochhalten von Transparenten führen solle, habe das Verwaltungsgericht nicht darlegen können. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs genüge die allgemein bestehende Möglichkeit des Missbrauchs von Transparenten nicht. Vielmehr müssten Erkenntnisse über drohende Störungen und Absichten zu einer missbräuchlichen Verwendung der Transparente vorliegen. Derartige Tatsachen lägen nicht vor. Selbst wenn die Auffassung des Verwaltungsgerichts zu einer Gefahr im Fall des Hochhaltens von Transparenten zutreffend sei, fehle es an einer Gefahrenprognose, dass es zu einem solchen Hochhalten komme. Ereignisse aus früheren Versammlungen könnten insoweit – nur – Indizien darstellen, ersetzten aber nicht die Gefahrenprognose. Zudem bestehe nicht die vom Verwaltungsgericht angenommene Ähnlichkeit zu den von der Beklagten angeführten Versammlungen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 26. Februar 2016 – 1 K 1556/14 – zu ändern und festzustellen, dass die Auflage Nr. 14 Satz 3 des Auflagenbescheids vom 27. Mai 2014 rechtswidrig war.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 26. Februar 2016 – 1 K 1556/17 – zurückzuweisen.

Die Beklagte hat sich im Berufungsverfahren nicht geäußert.

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Klägerin hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, denn die Auflage Nr. 14 Satz 3 des Auflagenbescheids vom 27. Mai 2014, wonach „Transparente nicht so aufgespannt oder mitgeführt werden (dürfen), dass sie als Sichtschutz für die Versammlungsteilnehmer dienen können, d. h. dass durch sie die Gesichtsbereiche des Trägers unter hinter dem Transparent laufender Personen verdeckt werden“, war rechtswidrig und verletzte die Klägerin in ihren Rechten (§113 Abs. 1 Satz 4 VwGO in entsprechender Anwendung).

1. Die Klage ist mit dem Verwaltungsgericht Leipzig als Fortsetzungsfeststellungsklage in analoger Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO als zulässig anzusehen.

Insbesondere hat die Klägerin ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse.

Effektiver Rechtsschutz verlangt, dass ein Betroffener ihn belastende Eingriffsmaßnahmen in einem gerichtlichen Hauptsacheverfahren überprüfen lassen kann. Solange er durch den Verwaltungsakt beschwert ist, stehen ihm die Anfechtungs- und die Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO zur Verfügung. Erledigt sich der Verwaltungsakt durch Wegfall der Beschwer, wird nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO oder entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO bei Erledigung vor Klageerhebung Rechtsschütz gewährt, wenn der Betroffene daran ein berechtigtes rechtliches, ideelles oder wirtschaftliches Interesse hat. Erschöpft sich sein Anliegen in der bloßen Klärung der Rechtmäßigkeit des erledigten Verwaltungsakts, ist ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse nach Art. 19 Abs. 4 GG zu bejahen, wenn andernfalls kein wirksamer Rechtsschutz gegen solche Eingriffe zu erlangen wäre. Davon ist nur bei Maßnahmen auszugehen, die sich typischerweise so kurzfristig erledigen, dass sie ohne die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses regelmäßig keiner Überprüfung im gerichtlichen Hauptsacheverfahren zugeführt werden könnten. Maßgebend ist dabei, ob sich die kurzfristige, eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage ausschließende Erledigung aus der Eigenart des Verwaltungsakts selbst ergibt (BVerwG, Urt. v. 16. Mai 2013 – 8 C 15.12 -, juris Rn. 32; Urt. v. 16. Mai 2013 – 8 C 20.12 -, juris Rn. 23 ff.; SächsOVG, Urt. v. 25. Januar 2018 – 3 A 246/17 -, juris Rn. 23).

Danach ist ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse hier gegeben. Bei der gegenüber der Klägerin ausgesprochenen Auflage zur Handhabung von Transparenten handelt es sich um einen polizeilichen Verwaltungsakt, der sich spätestens zu dem Zeitpunkt erledigt hat, zu dem die Versammlung der Klägerin beendet war. Auch handelt es sich bei der von der Klägerin angegriffenen Auflage um einen Eingriff von einigem Gewicht in ihre Grundrechte, betrifft sie doch die Ausübung ihres Rechts auf Demonstrationsfreiheit (vgl. SächsOVG, Urt. v. 19. Mai 2016 – 3 A 194/15 -, juris Rn. 18 ff. m. w. N.; auch Beschl. v. 17. November 2015 – 3 A 440/15 -, juris Rn. 8).

2. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch begründet, denn die Auflage zur Handhabung von Transparenten auf der von der Klägerin angemeldeten Versammlung, erweist sich als rechtswidrig.

Gemäß § 15 Abs. 1 SächsVersG kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Beschränkungen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Unter Berücksichtigung der grundlegenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit im demokratischen Gemeinwesen setzt ihre Beschränkung die Herstellung einer praktischen Konkordanz zwischen den betroffenen grundrechtlich geschützten Rechtsgütem voraus (SächsOVG, Beschl. v. 6. Februar 2015 – 3 B 105/15 -Juris Rn. 6 m. w. N.).

Kommt es zur Rechtsgüterkollision, kann das Selbstbestimmungsrecht jedoch durch Rechte Anderer beschränkt sein, ln diesem Fall ist für die wechselseitige Zuordnung der Rechtsgüter mit dem Ziel ihres jeweils größtmöglichen Schutzes zu sorgen. Wird den gegenläufigen Interessen Dritter oder der Allgemeinheit bei der Planung der angemeldeten Versammlung nicht hinreichend Rechnung getragen, kann die praktische Konkordanz zwischen den Rechtsgütem durch versammlungsbehördliche Auflagen hergestellt werden (BVerfG, Beschl. v. 6. Mai 2005 – 1 BvR 961/05 – juris Rn. 24; SächsOVG, Beschl. v. 17. März 2017 – 3 B 82/17 -, juris Rn. 5 ff.; Dietel/Gintzel/ Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 16. Aufl. 2011, § 15 Rn. 156 m. w. N.).

Mit dem Verwaltungsgericht ist der Senat der Auffassung, dass die streitgegenständliche Auflage i. S. v. 37 Abs. 1 VwVfG hinreichend bestimmt ist. Dies ist der Fall, wenn sich der Inhalt der Regelung für die Beteiligten und insbesondere für die Adressaten der Regelung klar und unzweideutig erkennen lässt, so dass sie ihr Verhalten hiernach richten können (BVerwG, Urt. v. 3. Dezember 2003, BVerwGE 119, 282; SächsOVG, Urt. v. 16. März 2018 – 3 A 556/17 -, juris Rn. 21, Kopp/Ramsauer, VwVfG, 18. Aufl. 2017, § 37 Rn. 5). Dabei muss die Regelung aus sich heraus verständlich sein. Hierzu genügt es, dass der Regelungsinhalt aus dem Gesamtzusammenhang des Verwaltungsakts erkennbar ist, wozu auch seine Begründung und die den Beteiligten bekannten näheren Umstände seines Erlasses heranzuziehen sind (Kopp/Ramsauer, a. a. O. Rn. 12). Die Formulierung der Auflage lässt klar erkennen, dass die Transparente nicht so hoch gehalten werden dürfen, dass sie das Gesicht von Versammlungsteilnehmern verdecken und sie deshalb nicht erkennbar sind.

Anders als vom Verwaltungsgericht angenommen ist der Senat nicht der Überzeugung, dass die Beklagte hinreichende Tatsachen für die Annahme dargelegt hat, dass eine „unmittelbare Gefährdung“ i. S. v. § 15 Abs. 1 SächsVersG zur Rechtfertigung der streitgegenständlichen Auflage vorlag.

Ist eine versammlungsrechtliche Auflage auf eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit gestützt, bedarf es zu ihrer Rechtfertigung einer Gefahrenprognose, die bei verständiger Würdigung der Umstände die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Gefahreneintritts erkennen lässt. Gibt es neben Anhaltspunkten für die von der Behörde zugrunde gelegte Gefahrenprognose auch Gegenindizien, haben sich die Behörde und die Gerichte auch mit diesen in einer den Grundrechtsschutz des Art. 8 Abs. 1 GG hinreichend berücksichtigenden Weise auseinanderzusetzen. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20. Dezember 2012-1 BvR 2794/10 -, juris Rn. 17; Beschl. v. 12. Mai 2010 -1 BvR 2636/04 – Juris Rn. 17; Beschl. v. 4. September 2009 – 1 BvR 2147/09 -, juris Rn. 9 und 13). Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde auch bei dem Erlass von Auflagen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20. Dezember 2012 a. a. O. ; Beschl. v. 5. September 2003 – 1 BvQ 32/03 -, juris Rn. 30).

Soweit die Beklagte die Auflage darauf gestützt hat, sie diene der Sicherstellung des Vermummungsverbots nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 SächsVersG, kann ihr nicht gefolgt werden. Allein das Tragen von Transparenten in Gesichtshöhe stellt keine „Aufmachung“ i. S. v. § 17 Abs. 2 Nr. 1 SächsVersG dar, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern (Peters, in: Pe- ters/Janz, Handbuch des Versammlungsrechts, 2015, F Rn. 73 m. w. N.; Ott/Wächtler/Heinhold, Gesetz über Versammlungen und Aufzüge, 7. Aufl. 2010, § 17a Rn. 39). Schon dem Wortlaut nach bezeichnet eine „Aufmachung“ die Gestaltung des Körpers selbst, etwa durch das Tragen von Kleidungsstücken, nicht aber durch das Halten von Gegenständen vor das Gesicht. Hierfür spricht auch der Vergleich mit der Regelung in § 17 Abs. 2 Nr. 2 SächsVersG, wonach es verboten ist, Gegenstände zur Verhinderung der Identitätsfeststellung mit sich zu führen. Durch diese Norm sind allein Gegenstände, die das Gesicht unkenntlich machen sollen, erfasst (so zutreffend: VG Leipzig, Urt. v. 17. Juni 2016 -1 K 1273/15 -Juris Rn. 52 m. w. N.). Um derartige Gegenstände handelt es sich bei Transparenten ebenfalls nicht. Das Mitführen von Transparenten bei einer von Art. 8 GG geschützten Versammlung unter freiem Himmel unterfällt sowohl der Versammlungsfreiheit und zudem – sofern auf den Transparenten in Schrift oder Bild eine Meinung bekundet wird – der Mei- nungsffeiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG. Hiervon ausgehend sind derartige Transparente zwar dazu geeignet, aber nicht nach den Umständen dazu bestimmt, die Identität zu verschleiern (VG Leipzig, a. a. O. Rn. 53 mit Verweis auf BayVGH, Urt. v 3. November 1997 – 24 B 95.3713 -Juris Rn. 54).

Die streitgegenständliche Auflage kann auch nicht allein wegen der allgemeinen Möglichkeit ihres Missbrauchs zur Verhinderung einer Identifizierung von Störern gerechtfertigt werden. Es bedarf vielmehr konkreter und nachvollziehbarer tatsächlicher Anhaltspunkte dafür, dass es zu einer Gesichtsverdeckung durch Hochhalten von Transparenten zur Verhinderung einer Identitätsfeststellung bei konkret drohenden Verstößen gegen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung kommen wird (vgl. BayVGH, Be- schl. v. 19. Dezember 2017 – IOC 17.2156 -, juris Rn. 16 m. w. N.). Allein die Vermutung, dass Transparente in Gesichtshöhe gehalten werden könnten, genügt daher nicht. Vielmehr bedarf es einer durch Tatsachen gestützten Prognose, dass diese Handhabung dazu dienen soll, um im Schutze der Anonymität Straftaten oder sonstige Verstöße gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu begehen. Eine derartige Prognose kann die Versammlungsbehörde auch mit konkreten Vorfällen belegen, die sich in der Vergangenheit bei vergleichbaren Versammlungen ereignet haben (vgl. zum Mitfuhren von [Seiten-]Transparenten: OVG NRW, Beschl. v. 3. November 2017 -15 B 1371/17 -Juris Rn. 11; BayVGH, Beschl. v. 3. Oktober 2014 -10 CS 14.2156 – , juris Rn. 5; Beschl. v. 12. April 2013 – 10 CS 13.787 -, juris Rn. 4; Beschl. v. 9. Dezember 2005 – 24 CS 05.3215 -, juris Rn. 21 f.; zu den Kriterien der Vergleichbarkeit: BVerfG, Beschl. v. 12. Mai 2010-1 BvR 2636/04 – Juris Rn. 17). Ein solcher Nachweis ist der Beklagten nicht gelungen.

Hier hat sich die Beklagte zur Begründung der Auflage auch darauf gestützt, dass sich ansonsten nicht die Identität eines jeden Versammlungsteilnehmers anhand seines Gesichts bestimmen lasse. Diese Erwägung kann die streitgegenständliche Auflage nicht rechtfertigen. So wie das Mitführen von Seitentransparenten nicht allein wegen der allgemeinen Möglichkeit ihres Missbrauchs zur Verhinderung der Identifizierung von Störern untersagt werden kann, es vielmehr konkreter und nachvollziehbarer Anhaltspunkte dafür bedarf, dass das Mitführen der Transparente die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar gefährdet (OVG NRW, a. a. O.; BayVGH, Beschl. v. 3. Oktober 2014 a. a. O.), stellt auch die Verdeckung des Gesichts durch das Hochhai-
ten von Transparenten für sich genommen noch keine „unmittelbare Gefährdung“ i. S. v. § 15 Abs. 1 SächsVersG dar. Hielt die Beklagte bereits die Verdeckung des Gesichts durch Transparente für verbotsfähig, fehlt es naturgemäß an der erforderlichen Prognose zu einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung.

An diesem Ergebnis ändert sich nichts, wenn man davon ausgeht, dass es sich bei der fehlenden Gefahrenprognose um einen bloßen Begründungsmangel handelt, der zudem ungeachtet der zwischenzeitlichen Erledigung des Auflagenbescheids einer Heilung durch Nachholung der Begründung zugänglich ist. Nach § 39 Abs. 1 Sätze 1 und 2 VwVfG ist ein schriftlicher Verwaltungsakt mit einer Begründung zu versehen, in der die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen sind, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Dieses Begründungserfordemis verlangt nicht die Darlegung aller Einzelheiten, die für eine vollständige Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts notwendig sind. Anzugeben sind jedoch die tragenden Gründe, von denen die erlassende Behörde bei ihrer Entscheidung ausgegangen ist, in tatsächlicher Hinsicht also der von der Behörde ermittelte, als gegeben angenommene Sachverhalt (NdsOVG, Urt. v. 23. Februar 2018 – 11 LC 177/17 -, juris Rn. 37 m. w. N.). Hiervon ausgehend gehört die Gefahrenprognose bei der streitgegenständlichen Auflage zum notwendigen Gegenstand ihrer Begründung.

Geht man zugunsten der Beklagten davon aus, dass sie mit den Ausführungen in ihrer Klageerwiderung vom 26. August 2014 eine Heilung des Begründungsmangels nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG noch bewirken konnte, so bieten die dortigen Ausführungen nach Lage der Dinge dennoch keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte zur Rechtfertigung der streitgegenständlichen Auflage. Eine konkrete Gefahr, dass bei der in Rede stehenden Versammlung der Klägerin das Hochhalten von Transparenten unter Verdeckung des Gesichts dazu benutzt werden könnte, Straftaten oder sonstige Verstöße gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu begehen, lassen sich den dortigen Ausführungen nicht entnehmen. Angeführt werden sechs von der Klägerin (mit-)veranstaltete Demonstrationen im Zeitraum vom 27. Oktober 2012 bis Oktober 2013. Lediglich bei der am längsten zurückliegenden Versammlung vom Oktober 2012 soll es zu einer Verhüllung der ersten rund 15 Reihen und der Zündung von Pyrotechnik gekommen sein. Zu den fünf nachfolgenden Versammlungen wird als Störung lediglich das Halten von Transparenten in Gesichtshöhe angeführt, ohne dass es zu darüber hinausgehenden Vorfällen gekommen ist. Dieser Sachverhalt bietet keine belastbaren Anhaltspunkte für die Rechtfertigung der streitgegenständlichen Auflage. Sonstige konkreten Anhaltspunkte dafür, dass die Auflage wegen des Teilnehmerkreises der streitgegenständlichen Versammlung oder aus sonstigen Gründen gerechtfertigt sein könnte, hat die Beklagte nicht dargelegt. Es kommt deshalb auch schon nicht darauf an, ob diese Versammlung hinsichtlich ihres Teilnehmerkreises mit den von der Beklagten angeführten, vorhergehenden Versammlungen vergleichbar ist.

Fehlt es an einer die Auflage rechtfertigenden konkreten Gefahrenprognose, ändert sich an der Rechtswidrigkeit der Auflage nichts durch den Umstand, dass es sich bei der streitgegenständlichen Auflage um eine vergleichsweise geringfügige Einschränkung der Versammlungs- und Meinungsfreiheit der Teilnehmer und des Anmelders handelt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist.

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