Boykottaufrufe: Meinungsfreiheit oder rechtswidrige Geschäftsschädigung?

Ob es um Umweltverschmutzung, Rassismus oder andere Missstände geht: Verbände oder auch Einzelpersonen können gezielt dafür werben, dass Verbraucherinnen und Verbraucher ihr Kaufverhalten überdenken. Die Hoffnung ist, dass das betroffene Unternehmen bei spürbaren Umsatzeinbußen etwas ändert.

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Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht

Derartige Boykottaufrufe können von der Meinungsfreiheit gedeckt sein – sie können aber auch rechtswidrig in Rechte des betroffenen Unternehmens eingreifen. Aber wo ist da die Grenze?

Was haben Tierschutz, ein Sektenvorwurf und die AfD gemeinsam?

Ein Boykott ist eine scharfe Waffe im Meinungskampf. Die wirtschaftlichen Auswirkungen für das betroffene Unternehmen, die mit einem Aufruf gerade herbeigeführt werden sollen, könne erheblich sind. Nicht verwunderlich ist daher, dass Unternehmen zunehmend versuchen, sich gegen ihrer Meinung nach rechtswidrige Boykottaktionen juristisch zu wehren.

So geschehen beispielsweise, als der „Zentralverband Deutscher Pelztierzüchter“ gegen das „Deutsche Tierschutzbüro“ vorging. Die Tierschützer hatten eine Volksbank aufgefordert, ein Konto des Zentralverbands zu kündigen. Ihrer Forderung verliehen sie Nachdruck, indem sie ankündigten, die Kunden der Bank zu informieren, sollte diese sich nicht klar positionieren. Der Streit musste durch den Bundesgerichtshof geklärt werden, im Ergebnis übrigens zugunsten der Tierschützer:innen.

Bis zum höchsten deutschen Gericht schaffte es der Vorwurf gegenüber Scientology als „Sekte, die unter Beobachtung des Verfassungsschutzes steht“. Verbunden war die Äußerung mit dem Hinweis, dass Plakatfirmen sich immer wieder zu Buchungen von Scientology hinreißen ließen:

Offensichtlich ist die Aussicht auf ein paar Mark hier wichtiger als die Überzeugung. Daher veröffentlichen wir diese Werber. Damit muss jetzt jeder rechnen, der für Scientology Werbung macht. Die Informationen erhalten jeweils die Münchner Medien, sind aber auch auf unserer Homepage unter ‚Pressemeldungen‘ nachlesbar.

Vor den Gerichten hatte Scientology mit einer Unterlassungsklage zunächst Erfolg, das Bundesverfassungsgericht hob die Entscheidungen jedoch auf und war der Auffassung, dass der Boykottaufruf im vorliegenden Fall zulässig war (BVerfG, Beschluss vom 08.10.2007 – 1 BvR 292/02).

Vor Gericht landete auch der folgende Aufruf eines Grünen-Politikers, der anderen Nutzerinnen und Nutzern im Wahlkampf auf Twitter nahelegte, einen bestimmten Friseur nicht mehr aufzusuchen:

Ab sofort empfehle ich, nicht mehr zum Friseur …in #… zugehen. Inhaber ist ein #AFDler. Man weiß nie, wo die Schere ansetzt.

Das Oberlandesgericht Dresden (Urteil vom 05.05.2015 – 4 U 1676/14) war hier überzeugt, die Empfehlung des beklagten Politikers stelle als zulässige Meinungsäußerung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 GG keinen rechtswidrigen Eingriff in das Recht des Klägers am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar.

Boykottaufrufe? Es kommt darauf an …

Die genannten drei Fälle zeigen, dass Boykottaufrufe vielfältig sind und die Meinungsfreiheit ein hohes Gewicht hat. Dass alle Fälle letztlich zugunsten der Aufrufenden ausgingen, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die rechtliche Beurteilung dahinter komplex ist.

Die Rechtsprechung verlangt bei Boykottaufrufen eine umfassende Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit der Aufrufenden einerseits und den Rechten des betroffenen Unternehmens andererseits. Die Behinderung der Erwerbstätigkeit ist dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt.

Voraussetzung für einen zulässigen Aufruf ist zunächst, dass er auf einer zutreffenden Tatsachengrundlage beruht. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts können Unwahrheiten zur Meinungsbildung nichts beitragen. Sie müssen von dem Betroffenen grundsätzlich nicht hingenommen werden. Gegen die Verbreitung wahrer Tatsachenbehauptungen kann sich ein Unternehmen hingegen in der Regel nicht erfolgreich zur Wehr setzen.

Was unterscheidet also Tatsachenbehauptungen von Meinungen?

Tatsachen sind alle Äußerungen, die dem Beweis zugänglich sind. Ob sie „wahr“ oder „unwahr“ sind, kann durch Zeugen, Sachverständige, Urkunden etc. belegt werden.

Meinungsäußerungen sind hingegen durch Elemente des Meinens, der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnet. Bei ihnen steht die Wertung im Vordergrund, weshalb sie durch die Meinungsfreiheit geschützt sind.

Ein Unternehmen wird also dann leichtes Spiel haben, wenn der Boykottaufruf falsche Tatsachenbehauptungen aufweist. Dies ist in der Praxis zumeist auch der maßgebliche Streitpunkt: unsaubere Formulierungen, eine unzureichende Recherche oder unnötige Verkürzungen. Wer einen Aufruf schreibt, sollte daher gründlich recherchieren und jede Behauptung belegen können.

Anforderungen an zulässige Boykottaufrufe

Für die Zulässigkeit von Boykottaufrufen sind, so das Bundesverfassungsgericht, Ziel und Zweck des Aufrufs entscheidend sowie die hierfür eingesetzten Mittel.

Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, ob die Aufrufenden im eigenen wirtschaftlichen Interesse tätig wird oder im öffentlichem Interesse im Sinne politischer, wirtschaftlicher, sozialer oder kultureller Belange der Allgemeinheit.

Zudem muss sich der Aufruf auf den Versuch geistiger Einflussnahme und Überzeugung beschränken. Die rechtlichen Grenzen überschritten sind, wenn zusätzlich „Machtmittel“ eingesetzt werden, die der eigenen Meinung etwa durch Androhung oder Ankündigung schwerer Nachteile und Ausnutzung sozialer oder wirtschaftlicher Abhängigkeit Nachdruck verleihen sollen und so die innere Freiheit der Meinungsbildung zu beeinträchtigen drohen (BGH, Urteil vom 19.01.2016 – VI ZR 302/15). Nicht erlaubt wäre es daher, wenn der Aufruf sich nicht darauf beschränkt, ein Unternehmen nicht mehr zu besuchen, sondern dessen Eingänge zu blockieren, wenn es nicht einlenkt.

Im Falle der Tierschützer hat der Bundesgerichtshof die Zulässigkeit des Boykottaufrufs damit begründet, dass der Verein keine eigenen wirtschaftlichen Interessen verfolgte und der Aufruf zur Kontokündigung kein Selbstzweck, sondern verbunden mit der Schilderung und Bewertung der Haltung von Pelztieren sei. Zudem handele es sich bei der Pelztierhaltung um ein kontrovers diskutiertes Thema.

Ohne Erfolg machte der Pelztierzüchterverband geltend, der Tierschutzverein doch auch ein Interesse an Spenden. Er verfolge damit auch ein eigenes wirtschaftliches Interesse. Der BGH sah dies anders:

Sollten sich Leser des Artikels infolge der Lektüre zu einer Spende an den Beklagten veranlasst sehen, dann in der Regel deshalb, weil sie sich mit der Haltung des Beklagten identifizieren können. Dies belegt aber die Funktion der angegriffenen Darstellung als Mittel im Meinungskampf und nicht als Mittel zur eigennützigen Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen.

BGH, Urteil vom 19.01.2016 – VI ZR 302/15

Wettbewerbsrechtlicher Schutz von Mitbewerbern

Aus den dargestellten Grundsätzen ergibt sich, dass ein Boykottaufruf eines Unternehmens gegenüber einem Mitbewerber nicht zulässig ist. Nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) liegt zusätzlich der Tatbestand der gezielten Behinderung von Mitbewerbern vor (§ 4 Nr. 4 UWG).

Darüber hinaus untersagt § 4 Nr. 1 UWG die Herabsetzung oder Verunglimpfung eines Mitbewerbers durch ein Unternehmen. In einem Wettbewerbsverhältnis können daher unwahre Behauptungen auch nach dem UWG abgemahnt werden.

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